Ich bin noch weit entfernt von meinem Ziel Surfen zu lernen. Aber das ist auch ok. Surfen ist weniger ein Sport, als viel mehr eine Lebenseinstellung. Mein Surflehrer schickte mich manchmal schon vor um eine Verbindung zum Meer aufzubauen – denn darum geht es eigenlich: sich vom Meer mitnehmen zu lassen. Manchmal ist es genauso schön in die Wellen rauszupaddeln und den spektakulären Sonnenuntergang von seinem Board aus zu beobachten wie eine Welle zu reiten. Und Surfen lehrt jeden der es lernen möchte geduldig und demütig zu sein und dass man es einfach immer und immer und immer wieder versuchen muss.

Nüchtern betrachtet klingt es im ersten Moment vielleicht wirklich etwas abstrus. Man schnappt sich ein gewachstes Hartshaumbrett, das man mit einer Leine an seinem Knöchel befestigt. Dann kämpft man sich damit durch die Brandung und die sich brechenden Wellen, wird dabei immer wieder zurückgeworfen und paddelt bis einem fast die Arme abfallen, nur um zum Line-up zu kommen. Dabei hat man schon ganz schön viel Wasser geschluckt und Kräfte aufgebraucht, als man mit sogenannten „turtle rolls“ versucht hat unter den Wellen hindurchzukommen. Dann sitzt man beliebig lange auf dem Brett, starrt auf den Horizont und wartet auf ein Set. Und wenn es dann endlich kommt, paddelt man wieder bis zum Umfallen um mit der richtigen Geschwindigkeit auf die Welle zu kommen, versucht den richtigen Moment zu erwischen aufzustehen und dann war der Zeitpunkt doch nicht richtig und man kommt in die Waschmaschine, wo man von der Welle unter Wasser einige Male durchgeschleudert wird um dann im schlimmsten Fall in der Impact Zone wieder aufzutauchen wo die Wellen erbarmunglos über einen herabbrechen und wieder untertauchen. Es kostet wieder unglaublich viel Kraft sich da rauszumanövrieren und dann steht man wieder auf der falschen Seite der Wellen (davor und nicht dahinter) und kämpft sich wieder seinen Weg zurück. Es tut einem wirklich alles weh. Der Körper ist geschunden und mit blauen Flecken gesprenkelt, die Arme kann man keinen Millimeter mehr heben, der Bauch ist voller Salzwasser und außerdem ist man total frustriert weil es einfach nicht so klappt wie man sich das vorstellt.
Kurzum: es ist richtig schwer. Und mühsam. Und du kannst nichts erzwingen, so sehr du es auch möchtest.
Aber.
Wenn du einmal doch diesen unbeschreiblichen Moment erlebst, schwerelos auf dem Wasser gleitest, die Kraft des Meeres spürst und wie sie dich trägt – das ist einfach Magie. Dass das Meer, in all seiner Macht, dem du wirklich nichts entgegenzusetzen hast, dich mitnimmt. Es gibt dir ein Gefühl von Freiheit. Dankbarkeit. Erstaunen. Glück.

So viel was uns das Surfen lehrt, können wir auch auf das Leben im Allgemeinen übertragen.
Die 13 Lektionen
Und so viel wie das Surfen einem abverlangt, so viel lehrt es einen auch. Ich habe mir ein paar Grundregeln und Richtlinien des Surfens notiert, und finde, dass man sie ganz wunderbar auf das Leben übertragen kann.
1. Erinnere dich an das, was bereits in dir steckt
Remember: das war glaube ich das meistbenutzte Wort meines Surflehrers. Er meinte damit, dass ich mich daran erinnern und zurückbesinnen soll, was ich gelernt habe, an die Bewegungsabfolge, die wir am Strand geübt hatten, und dass ich mich darauf konzentrieren und fokussieren soll. Also, eigentlich das aktivieren, das schon (irgendwo) in mir steckt.
2. Studiere die Bedingungen und bereite dich gut darauf vor
Bevor du einfach wild loslegst, bereite dich vor: schaue dir die Wellenvorhersage an und vor allem studiere den Surfspot vor Ort – gibt es einen Channel (sozusagen einen Weg nach draußen hinter die Wellen), auf welche Gefahren solltest du achten (zum Beispiel unsichtbare Felsen oder Steine), wie ist die Strömung, sind viele Surfer draußen (und wissen sie was sie tun oder eher nicht), wo sind deine Landmarks an denen du dich immer wieder orientieren kannst wenn die Strömung dich unbemerkt woanders hintreibt, wie groß sind die Wellen und wie verhalten sie sich. Wisse worauf du dich einlässt und bevor du dich in die Wellen stürzt, vergesse nicht dich aufzuwärmen, um dich nicht zu verletzen oder im Wasser einen Krampf zu bekommen.
3. Übe dich in Geduld und warte das richtige Timing ab
Wähle das richtige Timing beim Eingang und paddel dann los wenn gerade kein Set kommt: anstatt von Anfang an gegen die Wellen zu kämpfen und deine Kräfte zu verschwenden, macht es viel mehr Sinn das Meer zunächst zu beobachten und dann rauszupaddeln wenn der geringste Widerstand da ist. Mache dir das Leben nicht unnötig schwer – agiere klug. Und auch wenn du eine Welle kriegen willst, ist der Hauptpunkt das richtige Timing. Wäge Position, Abstand und Geschwindigkeit der Welle ab und passe dich entsprechend an. Wenn du zu früh paddelst und aufstehst, verpasst du die Welle, wenn du zu spät bist bricht sie über dir herein. Geduld ist eine Tugend und das Surfen lehrt sie einem allemal.

4. Verschwinde aus der 'Impact Zone'
Verweile nicht in der „impact zone“, also dem Bereich in dem die Wellen brechen, sondern bewege dich möglichst schnell daraus weg: auch im echten Leben kannst du dich immer mal in Situationen wiederfinden, die auf dich einschlagen und dich unter Wasser drücken. Sieh zu, dass du schleunigst da raus kommst, anstatt gegen Widerstände anzukämpfen, die du nicht besiegen oder ändern kannst.
5. Kommuniziere anstatt Annahmen zu treffen
Kommuniziere – klar und viel: das Meer gehört niemandem. Und gleichzeitig allen. Aber als Surfer teilen wir es miteinander und neben ein paar Grund- und Vorfahrtsregeln, ist es genauso wichtig miteinander zu kommunizieren. So wird niemand verletzt, man ist abgestimmt und es ist außerdem ein tolles Gefühl das Jubeln der Anderen zu hören, wenn du es auf eine Welle geschafft hast. Es entstehen so viele Missverständnisse, weil wir (falsche) Annahmen treffen. Niemand kann Gedanken lesen, aber miteinander kommunizieren, das können wir!
6. Sicherheit geht vor
Safety First: die Sicherheit ist am allerwichtigsten. Wenn du auftauchst, schützt du immer deinen Kopf – falls zum Beispiel dein Brett von einer Welle in Richtung deines Kopfes geschleudert werden sollte. Du bist allem voran für dich und deine Sicherheit verantwortlich.
7. Verbinde dich mit der Kraft, anstatt dagegen anzukämpfen
Kämpfe nicht gegen das Meer an – verbinde dich mit ihm: wenn du nicht gerade Moses bist, der das rote Meer teilen kann, gibt es absolut keine Chance in einem Kampf mit dem Meer zu gewinnen. Das ist die Demut, die uns das Surfen lehrt. Wenn dich eine Welle runterdrückt, spüre wann die Kraft nachlässt und die Welle dich wieder freigibt. Lerne das Meer zu lesen. Werde Teil davon und nutze die Energie des Wassers, um darauf entlangzuschweben. Auch im echten Leben gibt es Situationen, die übermächtig sind – lerne damit umzugehen ohne dich selbst zu verlieren oder auszupowern.

8. Sei selektiv und treffe bewusste Entscheidungen
Sei selektiv – nimm nicht willkürlich jede Welle, sondern beobachte sie genau: Und zwar nicht nur die nächste Welle die anrollt, sondern auch die übernächste. Wie entwickelt sie sich? Hat sie genug Power, ist es eine gute Welle, geht sie nach links oder rechts? Bist du in der richtigen Position beziehungsweise kommst du rechtzeitig in die richtige Position an den höchsten Punkt der Welle? Ist es wirklich deine Welle oder hat ein anderer Surfer Vorfahrt? Überfährst du auch niemanden wenn du die Welle reitest? Es sind viele Faktoren, die du bedenken musst, wovon manche in deiner Hand liegen (wie dich in die richtige Position zu bringen) und manche nicht (die Welle macht was sie will und entscheidet sich vielleicht ganz kurzfristig nochmal um). Das Meer und die Wellen sind unberechenbar, sie ändern sich ständig und du musst sie die ganze Zeit über aufmerksam beobachten. Auch im echten Leben bleibt nichts konstant und wir müssen uns immer wieder anpassen und uns bewusst entscheiden, welche Welle wir reiten wollen. (Und wenn wir mal eine schlechte Welle nehmen, ist es auch nicht schlimm – wir werden vielleicht etwas durchgewirbelt und paddeln dann einfach wieder raus um die nächste zu nehmen. Wir lernen durch Ausprobieren: never try, never know…).
9. Falle nicht bevor du fällst
Falle nicht bevor du fällst: Ich war manchmal so überrascht, dass ich den „drop“ geschafft habe, dass ich so fest davon überzeugt war gleich zu fallen, dass ich – du wirst es ahnen – natürlich direkt gefallen bin. Selbsterfüllende Prophezeiung nennt man das auch… Bleibe in Balance, genieße den Moment und verschwende keinen Gedanken daran, dass du fallen könntest. Du fällst erst dann wenn du fällst. Glaube an dich. Und kämpfe um jede Welle – auch wenn dein Pop-up nicht perfekt war, du kannst nachjustieren!

10. Habe keine Angst vor dem Unbekannten
Respektiere den Ozean und habe Spaß: Ich hatte anfangs immer panische Angst davor in die Waschmaschine zu kommen. Aber Angst ist nie zuträglich, und nachdem ich die ein oder andere Waschmaschine mitgemacht habe ist mir außerdem schnell bewusst geworden, dass es ja gar nicht so schlimm ist. So war ich viel gelöster und konnte mich viel besser auf das Surfen einlassen. Respekt hingegen ist wahnsinnig wichtig, damit wir nicht übermütig werden. Aber am Ende des Tages geht es doch darum Spaß zu haben und mit Freude Surfen zu lernen (oder einfach mal ein Set auszulassen um den Sonnenuntergang auf dem Wasser zu genießen während die Pelikane an dir vorbeifliegen).
11. Kenne deine Grenzen
Kenne deine Grenzen: Höre auf deinen Körper. Wenn du müde und erschöpft oder mit den Gedanken ganz woanders bist oder die Größe der Wellen dir Angst macht, dann bleibe am Strand. Dann ist heute nicht dein Tag zum Surfen. Du riskierst Frustration, Verletzungen und im schlimmsten Fall spielst du mit deinem Leben. Es ist ok seine Grenzen immer ein bisschen weiter zu pushen, aber bei manchen Dingen musst du genau abwägen wie viel du riskieren willst. Ob du dich dem gewachsen fühlst. Und sicherstellen, dass du dich zwar fordern darfst, aber nicht überfordern solltest. Unsere Grenzen sind nicht jeden Tag gleich (sind wir ausgeschlafen, haben wir Verletzungen, wie mutig sind wir heute), und auch wenn es dir vielleicht schwerfällt auf deinen Körper zu hören (dein Kopf und dein Herz wollen doch so gerne raus in die Wellen, vor allem wenn du vielleicht nicht so oft die Möglichkeit dazu hast), ist es so wichtig es zu tun. Die nächste Welle kommt.
12. Investiere in einen Lehrer und nimm Hilfe an
Hole dir einen Surflehrer: Surfen sieht oft so einfach aus. Der Schein trügt – es ist schwer und gnadenlos und du musst wissen was du tust. Erwarte nicht, dass du es von heute auf morgen kannst; es erfodert viel Zeit, Kontinuität, Ausdauer, Kraft, Wissen, eine hohe Leidensfähigkeit, vollen Einsatz, Balance und ein Gefühl. Ja, irgendwann musst du es alleine probieren, aber es ist so viel leichter, wenn du dir die Grundlagen von jemandem beibringen lässt, der auf den Wellen aufgewachsen ist.

13. Bleib dran und geb nicht auf
Bleib dran und geb nicht auf – Übung, Wiederholung, Wiederholung: ja, es ist schwer. Du musst hart trainieren und Rückschläge hinnehmen um ein guter Surfer zu werden. Aber es lohnt sich und wenn du dran bleibst, wirst du es auch irgendwann schaffen! (Es sei denn du stellst fest, dass Surfen nichts für dich ist – dann lass es getrost einfach bleiben und probiere etwas anderes aus!)

Dieser Blogartikel ist ein Auszug aus meinem (noch unveröffentlichten) Buch: Die 6 Herzen der Wanderlust: ¡Hola, Latinoamérica!
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